Women in Jazz – Kuriosität oder Existenzkampf?

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Women in Jazz – Kuriosität oder Existenzkampf?


Das Jahr 2017 wird als das #MeToo Jahr in die Geschichte eingehen. Ein Skandal nach dem anderen kam ans Tageslicht als Schauspielerin Alyssa Milano öffentlich zum Bekenntnis aufrief mit dem Hashtag #MeToo. Berühmtheiten wie Harvey Weinstein, Bill Cosby und Kevin Spacey wurden öffentlich bloßgestellt. Die Jazz Pianisten Ethan Iverson und Robert Glasper verursachten eine Empörungswelle mit ihrer Konversation über die weiblichen Fans die hauptsächlich von den Rhythmen erregt werden aber die Komplexität der Musik nicht erfassen. Daraufhin veröffentlichte die 19-jährige Vibraphonistin Sasha Berliner ein Essay über ihre Erfahrungen als Jazzstudentin an der Mahattan School of Music in New York und löste weltweit heiße Diskussionen aus. Die Fakten sind offensichtlich keine Neuigkeiten und vor allem im Jazz sind die Wurzeln der Patriarchie tief. Jede Jazzmusikerin hat eine Anekdote, wo sie beim Bühnenaufbau als Freundin der Band angesprochen wird oder einfach angenommen wird, dass sie die Sängerin ist. Die Mädchen lernen meistens Klavier, Geige, und Flöte, die Trompeten, Posaunen, das Schlagzeug und der Bass werden den Jungs zugeschoben, eine Tatsache die in vielen Forschungsberichten bestätigt wird. An Universitäten sind weltweit weniger als 5% der Vollzeitprofessuren von Jazz Instrumentalistinnen besetzt. Die Jazzgeschichte wird weitgehend als eine lineare Kette von „Master Musicians” unterrichtet, die mit ausdrucksstarken Fotos von Männern in dunklen Jazzclubs die Geschichtsbücher dominiert. Es scheint, als ob ein Women in Jazz Festival da nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Welche Änderungen kann ein jährliches Festival bewirken? Welche Rolle spielt das Women in Jazz Festival in Halle seit der Premiere im Jahre 2006?

Als Lehramtskandidat an der Pädagogischen Hochschule Weingarten im Jahre 1988 bekam ich ein Jahresstipendium zur University of Alabama. Mein Traum von einer Jazzmusikerkarriere schien sich zu erfüllen und mit einem Einweg Ticket ging´s los. Schnell bemerkte ich, dass mein Partner, der Gitarrist Peter Kienle, zu Gigs und Jam Sessions eingeladen wurde während ich meistens als Anhängsel hinterherkam. Dass es Unterschiede gab, wurde mir klar als ich den Bassisten in unserer Band mehrmals überraschte, als er seine Fragen über meine Musikstücke an Peter Kienle adressierte, anstatt mich anzusprechen. In meiner Kompositionsklasse sollten wir Musikstücke einbringen und ich stellte meine Lieblingsmusik von Carla Bley vor. Allen anderen sagte Carla Bley nichts – für mich ist sie eine der wichtigsten Komponistinnen der Jazzgeschichte. Von meinem Traum, Jazzmusikerin zu werden, konnte mich nichts abbringen, aber es wurde mir klar, dass ich mein Tätigkeitsfeld selbst kreieren musste. Ein Doktorat von Indiana University, unzählige Stunden im Übungsraum und der Wille eigenständig Projekte zu leiten und zu verwirklichen hat mir zu weltweiten Touren, Dutzenden von Aufnahmen und einer Professur im Kulturmanagement an Indiana University verholfen. Aber immer wieder bin ich das einzige weibliche Bandmitglied, die einzige weibliche Jazzlehrerin, die einzige weibliche Teilnehmerin bei Jam Sessions. Und im September 2019, zwei Jahre nach dem #MeToo Movement, verließ ich die Bühne beim Indy Jazzfestival und ein neuer Fan in der ersten Reihe bemerkte; “You sounded great. I would have never expected that you play like this, you look more like a school teacher”. Mein Aussehen bestimmt Erwartungen – weniger Dynamik, weniger Qualität, weniger Kompetenz?
Obwohl sich vieles geändert hat in den 30 Jahren meiner Karriere, wirken diese Erfahrungen noch nach. Vor fünf Jahren beschloss ich eine All-Female Gruppe mit meinen Idolen zusammenzustellen. Nach dem Erfolg unserer zweiten Aufnahme Sheroes, eine von den besten CDs von 2018 im DownBeat Reader´s Poll und Jahresliste, waren wir zu Gast beim 2019 Women in Jazz Festival, eine tolle Erfahrung. Das Gastspiel war das Ende einer drei-wöchigen Tour, die beim Jazz Tales Festival in Ägypten begann und uns quer durch Mitteleuropa führte. Immer wieder bemerkte ich in den Clubs, dass die Zusammensetzung des Publikums etwas anders war, weniger eingefleischte Jazzer und mehr neugierige Außenseiter und meine Akademikerseite treibt mich immer wieder dazu die Hintergründe herauszufinden. Warum hatte mein Indianapolis Fan bestimmte Erwartungen? Warum ist die Beteiligung von Instrumentalistinnen im Jazz immer noch unter 20% obwohl Frauen in der 100jährigen Geschichte des Jazz immer dabei waren? Hier sind die wichtigsten Forschungsergebnisse, die ich in einem neuen Buchkapitel gesammelt habe. Und es sind auch die Gründe warum ein Women in Jazz Festival nicht eine Kuriosität ist, um Leute anzulocken, sondern eine Notwendigkeit, um die unsichtbaren Wände endlich zu sprengen.

Die All-female Festivals, Gruppen und Workshops geben Frauen und Mädchen die Gelegenheit mitzumachen, sich frei zu entfalten. Ohne Konkurrenzdruck und ohne etwas Besonderes zu sein. So wird es einfacher Selbstbewußtsein und Respekt zu entwickeln. Ganz unabhängig vom Berufsfeld, ob in der Wissenschaft oder in den Künsten, Vorbilder sind eines der wichtigsten Faktoren, die dazu führen, ein Berufsziel, ein Ideal zu verfolgen.
Um die visuellen Vorurteile zu überwinden, sollten Frauen möglichst oft auf der Bühne in Top - Formationen auftreten. Die Big Band Diva Jazz Orchestra (2010 auf dem Festival Women in Jazz – die Red.) ist ein ideales Beispiel für eine erfolgreiche Band mit großer Qualität. Die Band ist seit 25 Jahren ein Karriere - Sprungbrett für Jazzmusikerinnen.
Seit das Vorspiel hinter dem “Vorhang” in der klassischen Welt eingeführt wurde, stieg der Anteil der Orchestermusikerinnen schnell von 12 auf 30 Prozent. Jazz at Lincoln Center, ein komplett männliches Jazzorchester, hat im letzten Jahr den Protesten nachgegeben und Vorspiele hinter dem “Vorhang” zugesagt. Allerdings hat sich bis jetzt noch keine öffentliche Stellenausschreibung ergeben.
Claude Steele´s Buch “Whistling Vivaldi” diskutiert den Begriff Stereotyping und zeigt wie wahrgenommene Erwartungen persönliche Leistungen beeinflussen. Zum Beispiel: Wenn eine Jazzmusikerin fühlt, dass man weniger von ihr erwartet wird, weill sie weiblich ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie ihr künstlerisches Potential auch nicht voll ausschöpft. Claude Steele dokumentiert in seinem Buch ein ähnliches Experiment in der Mathematik, wo Frauen unter Leistungsdruck deutlich schlechter abschneiden als in Situationen ohne bestimmte Erwartungen. Das Stereotyping kann eliminiert werden mit einer höheren Frauenbeteiligung und Verwischung des ´Tokenism´ (der ungewöhnliche Einzelfall).
Letztendlich verkörpert der Jazz das Ideal der Demokratie. Wenn sich alle gleichwertig beteiligen und zur Musik beitragen, gibt es neue Stimmen, neue Richtungen in der Musik und der Ausdruck und die Emotionen sind eine Reflektionen von der gesamten Menschheit, nicht der halben.

Die Arbeit von Ulf Herden und seinen Mitarbeitern, die seit 14 Jahren das Women in Jazz Festival Halle präsentieren, ist unbezahlbar. Ein wichtiges Element im Integrationsprozess. Die Liste der weltbesten Künstlerinnen, die in den vergangenen 14 Jahre zum Festival gespielt haben, spricht Bände über das Qualitäts- und Quantitätspotential von Jazzmusikerinnen in der Gegenwart. Die Anzahl der jungen Jazzmusikerinnen weltweit hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen aufgrund inspirierender Vorbilder und Erfahrungen, die durch dieses Festival und ähnliche Initiativen geschaffen wurden. Der Integrationsprozess ist noch nicht beendet. Initiativen und Aufklärung werden noch gebraucht um die letzten Hürden zu überwinden. Aber das Ende ist in Sicht.

Dr. Monika Herzig, Indiana University

Monika Herzig ist Jazzpianistin und arbeitet als Professorin im Bereich Kulturmanagement an der Indiana University. Sie ist Autorin von “David Baker – A Legacy in Music” (IU Press, 2011) und “Experiencing Chick Corea: A Listener’s Companion (Rowman and Littlefield 2017). Sie leitet das Jazz Research Committee für das Jazz Education Network (JEN) und ist Editor von JAZZ (Jazz Education in Research and Practice, IU Press). Ihre zahlreichen Musik-Produktionen sind auf ACME Records, Owl Studios, Flavored Tunes, und Whaling City Sounds und Savant Records veröffentlicht.
Seit dem Jahr 2017 leitet sie die Band MONIKA HERZIG’S SHEROES. In der Band spielen international anerkannte Musikerinnen (Leni Stern, Jamie Baum, Jennifer Vincent, Rosa Avila, Mayra Casales, Reut Regev, Ada Rovatti, Ingrid Jensen, Lakecia Benjamin, Akua Dixon, and more). Die Aufnahmen der Band waren in vielen Best of Listen des Jahres 2018 zu finden (u.a. Down Beat).